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Nachbericht: Symposium "Heimat und Identität" am 7. August 2017

Am 07.08.2017 wurden auf dem 12. Symposium des Niedersächsischen Verfassungsschutzes in Hannover die Begriffe "Heimat" und "Identität" im Plenum und anschließend in vier unterschiedlichen Workshops, unter großem Zuspruch der knapp 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmernäher, betrachtet.

Lange Zeit haben die Begriffe Heimat und Identität im öffentlichen Diskurs keinen großen Raum eingenommen. Nun haben sie wieder Konjunktur und werden im Kontext von Globalisierung und Einwanderungsgesellschaft neu verhandelt. Die modernen Diskurse hierzu sind emotional aufgeladen und bergen die Gefahr, Gesellschaften zu spalten und zu polarisieren. Auch extremistische Organisationen beteiligen sich an diesen Diskursen.

1. Begrüßung durch Minister Pistorius

In seiner Begrüßung stellte Minister Pistorius heraus, dass "Extremisten und Populisten Begriffe wie Heimat oder Identität für ihre Ideologie und die Wahrnehmung ihrer Bewegungen besetzen wollen". Ziel ist die Deutungshoheit über diese Begriffe zu gewinnen, um alle Menschen auszuschließen die nicht ihrer rassistischen Definition dieser eigentlich positiven Begriffe folgen. "Solchen demokratiefeindlichen Ansätzen müssen wir vor allem mit Prävention, Aufklärung und natürlich der angemessenen Repression begegnen“, so Minister Pistorius.

Zur Rede
Minister Boris Pistorius auf dem Symposium "Heimat und Identität - was bedeutet das heute in Europa?"
Minister Boris Pistorius auf dem Symposium "Heimat und Identität - was bedeutet das heute in Europa?"
2. Begrüßung durch Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger

In einer wesentlich kürzeren Einleitung stellte Frau Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger heraus, dass „Extremisten jedweder Couleur aus unterschiedlichen Gründen kein Interesse an einer gelingenden Integrationspolitik haben." Daher versuchen diese, ebenso wie Populisten, "die zentralen Begriffe unserer Gesellschaft umzudeuten oder zu verzerren“, so Brandenburger. „Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, müssen sich auch die Verfassungsschutzbehörden künftig noch stärker mit der extremistischen Deutung der Begriffe Heimat und Identität beschäftigen", so Brandenburger.


3. Hauptvortrag durch den Schriftsteller Feridun Zaimoglu

Die Begriffe "Heimat" und "Identität" wurden nachfolgend durch den bekannten Schriftsteller Feridun Zaimoglu aus seiner Perspektive betrachtet. Hierfür wählte der 1964 in Bolu (Türkei) geborene Schriftsteller nicht das Medium eines klassischen Vortrages, sondern schrieb eigens für das Symposium die Kurzgeschichte „Hodscha Hamlets Heimatsuche“. Der seit seinem sechsten Lebensjahr in Deutschland lebende Schriftsteller ließ eigene Erfahrungen von Zerrissenheit zwischen dem Nicht-Mehr-Dort und Noch-Nicht-Hier-Sein in einer Migrationsgesellschaft einfließen.

Zur Kurzgeschichte
Schriftsteller Feridun Zaimoglu und Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger auf dem Symposium "Heimat und Identität - was bedeutet das heute in Europa?"
Schriftsteller Feridun Zaimoglu und Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger auf dem Symposium "Heimat und Identität - was bedeutet das heute in Europa?"
4. Impulsvortrag durch Herrn. Dr. Sven Schönfelder (Niedersächsischer Verfassungsschutz)

Nachfolgend referierte Dr. Sven Schönfelder vom Niedersächsischen Verfassungsschutz zum Thema „Heimat und Identität im Rechtsextremismus“. Für Rechtsextremisten habe das Internet enorme Bedeutung, um mit rechten Parolen vor allem gegen Einwanderung und die angebliche Islamisierung Deutschlands Stimmung zu machen. Vorurteile und Fremdheitsgefühle, insbesondere junger Menschen auf Identitätssuche, könnten so dazu führen, dass diese auf ihrer Suche nach neuen, unverrückbaren Gewissheiten auf Abwege geraten, die sie von den demokratischen Werten einer freiheitlichen Gesellschaft mehr und mehr entfernten.

Konkret zeigte Dr. Schönfelder am Beispiel der Identitären Bewegung Deutschland (IBD) auf, wie sich deren islamfeindliche sowie gegen Flüchtlinge und Einwanderer gerichtete Positionen wie auch ihr kollektivistisches Begriffsverständnis von ‚Heimat, Freiheit, Tradition‘ als gesellschaftlich anschlussfähiger und wesentlich besser vermittelbarer erwiesen als die Ziele des Neonazismus. Daher seien die Wachsamkeit von Staat und Zivilgesellschaft sowie die Kenntnis über die Ideologie des Rechtsextremismus heute wichtiger denn je.

Zum Impulsvortrag

5. Workshops

Workshop 1:
Ideologie und Sprache der neuen Rechten


  • Dr. Lars Geiges (Universität Göttingen),
  • Dr. Sven Schönfelder (Verfassungsschutz Niedersachsen) und
  • Ute Seckendorf (Institut für Beratung, Begleitung und Bildung e.V., B3, Dresden)

Der Workshop setzte sich mit der Ideologie und der Sprache von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten auseinander. Im Mittelpunkt standen die Begriffe Heimat und Identität, die in der Strategie alter wie auch neuer Parteien und Gruppierungen am rechten politischen Rand eine zentrale Rolle spielen. Dabei ging es zum einen um die Erscheinungsformen und die gesellschaftlichen Folgen, zum anderen um die Frage nach den Möglichkeiten von Intervention und Prävention.

Herr Dr. Geiges führte zu Beginn aus wissenschaftlicher Sichtin das Thema ein und zeigte am Beispiel der Identitären Bewegung, wie die Begriffe Heimat und Identität von der sogenannten Neuen Rechten gezielt instrumentalisiert und in ihre Kampagnen eingesetzt werden. Wichtig seien der regionale Bezug sowie die emotional behaftete Assoziation mit dem Heimatbegriff und ein vorgeblich soziales Engagement zur Verbreitung von Ideologie und Programmatik. Exemplarisch hierfür sei die Aktion „Identitäre Fluthilfe“, als Aktivisten im Juli bei Aufräumarbeiten nach den Überschwemmungen in Südniedersachsen halfen und dabei T-Shirts der Identitären Bewegung mit der Aufschrift „sturmfest und erdverwachsen“ trugen. Die antiliberal und ethnopluralistisch geprägte Ideologie der Identitären Bewegung komme auf diese Weise in einem vermeintlich harmlosen Gewand daher.

Frau Seckendorf berichtete im Anschluss von ihren jahrelangen Erfahrungen mit der Prävention von Rechtsextremismus und menschenfeindlichen Einstellungen in den neuen Bundesländern. Ihr Fokus lag auf der Kampagnenführung von NPD und Pegida in Sachsen und zugleich auf die politische Kultur und deren Defizite in der ostdeutschen Bevölkerung. Gerade mit einer sehr speziellen, das heißt sächsisch-exklusiven Definition der Begriffe Heimat und Identität gelänge es Parteien und Gruppierungen der alten wie der neuen Rechten, bis in (weite) Teile der Bevölkerung vorzudringen und die Grenzen des Sagbaren abzusenken.

Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops war es besonders wichtig zu erfahren, wie Präventionsarbeit unter dem Eindruck der Begriffe der Neuen Rechten aussehen kann, wenn eine volksgemeinschaftliche Konnotation und eine eindeutig antidemokratische Ausrichtung wie beim Neonazismus nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind, wenn also „Rasse“ zu „Ethnie“ wird und „Volk“ zu „Kultur“. Insbesondere im Bereich der politischen Jugend- und Erwachsenbildung gebe es eklatante Defizite. Hier könnten Rechtsextremisten wie auch Rechtspopulisten mit ihrer Ideologe und Sprache anknüpfen.


Workshop 2:

Was bedeuten die Begriffe „Heimat“ und „Identität“ für die autonome Szene?

  • Dr. Udo Baron und Christian Pfennig (Verfassungsschutz Niedersachsen)

Zu Beginn des Workshops wurden einleitend die wesentlichen Merkmale der autonomen Szene vorgestellt. Es wurde deutlich, dass sich die autonome Szene einerseits über eine Anti-Haltung (u.a. in den Aktionsfeldern Antifaschismus, Antirepression und Antimilitarismus) definiert, andererseits thematisch um Anschlussfähigkeit an das demokratische Lager bemüht ist. In klarer Abgrenzung zum bürgerlichen Protest zielen Autonome dabei in erster Linie auf die Überwindung des bestehenden Systems und halten, wie zuletzt bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg erneut sichtbar wurde, auch die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele für legitim.

Innerhalb des autonomen Spektrums bildete sich mit Beginn der 1990er Jahre eine neue Strömung heraus: die sogenannten Antideutschen. Vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und sahen diese in historischer Kontinuität zum Nationalsozialismus auf dem Weg in ein „Viertes Reich“. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten die Antideutschen sich bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA. Diese Solidarisierung umfasst dabei – entgegen jeglicher linksextremistischer Grundannahmen – auch militärische Operationen zur Verteidigung des israelischen Staates. Aus diesem Grund kam es zum Bruch zwischen den Antideutschen, die eine Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums vertraten und vertreten, und den die autonome Szene dominierenden sogenannten Antiimperialisten mit ihrer ausgeprägten antiwestlichen, insbesondere antiamerikanischen und antiisraelischen Haltung.

Auf Basis dieser für Autonome ungewöhnlichen Haltung der Antideutschen entwickelte sich anschließend eine Diskussion unter den beiden ca. 20 Personen umfassenden Workshop-Gruppen zu der These, ob die USA und Israel zumindest als eine „geistige Heimat“ der Antideutschen angesehen werden können, auch wenn Linksextremisten die Begriffe „Heimat“ und „Identität“ klassischerweise negieren, da sie ihrem ideologischen Verständnis entgegenstehen.


Workshop 3:
Das Kalifat: Utopie einer muslimischen Gemeinschaft in der Moderne?

  • Daniela Schlicht und Verena Voigt (Verfassungsschutz Niedersachsen)

Der Workshop drehte sich um die Fragen, wie und warum Salafisten in ihrer Propaganda die Suche von jungen Muslimen nach Heimat und Identität mit dem historischen Staatsmodell des Kalifats verknüpfen.

Mit Kalifat wird die Herrschaft der Nachfolger des Propheten Muhammad als politische und religiöse Oberhäupter über die von den Muslimen beherrschten Gebiete bezeichnet. Seine Blütezeit hatte das Kalifat bereits ab dem neunten Jahrhundert überschritten. Danach etablierten sich immer mehr regionale Herrschaften und Gegenkalifate. 1924 wurde das zu dem Zeitpunkt nur noch mit Symbolkraft ausgestatte Kalifat von der türkischen Regierung offiziell abgeschafft. Seither wird die Kalifatsidee, die gerade von Islamisten/Salafisten als Idealform einer muslimischen Gemeinschaft verstanden wird, regelmäßig neu als Utopie einer Heimat für Muslime diskutiert. Diese Debatten sind Ausdruck eines anhaltenden postkolonialen Traumas im Nahen und Mittleren Osten.

Gleichzeitig knüpft die Kalifatsidee aber auch an Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen von Muslimen in westlichen Staaten an. Dies machte sich der Islamische Staat (IS) zunutze, als er am 29. Juni 2014 in dem von ihm beherrschten Gebiet in Syrien und dem Irak erneut das Kalifat ausrief. Abu Bakr al-Baghdadi, Anführer des IS, bezeichnet sich seither als Kalif, also als Nachfolger Muhammads als politischer und religiöser Führer der islamischen Gemeinschaft. Dieser Anspruch wird in der islamischen Welt mehrheitlich abgelehnt. Der IS verklärt das Kalifat zu einem Sehnsuchtsort für Muslime. Dort, so die Propaganda des IS, seien alle Muslime gleich, keiner werde diskriminiert, der vermeintliche Staat sorge für seine Bewohner und stelle sicher, dass die religiösen Gebote und Normen eingehalten werden. Selbst der Tod für diesen Staat bringe den Kämpfer als Märtyrer direkt zu Gott. Zudem wird die Auswanderung der Muslime in diesen Staat, analog zur Auswanderung der frühen Muslime nach Medina, zur individuellen Pflicht für alle Muslime erklärt, die dazu in der Lage seien. Denn, so die allgemein salafistische Anschauung, Muslime können in den sündhaften, nicht nach Gottes Gesetz regierten Staaten insbesondere des Westens nicht als „wahre Muslime“ leben.

Im Gespräch wurde deutlich, dass das tatsächliche Regime des IS wenig mit den Schilderungen in der IS-Propaganda zu tun hat. Denn das IS-Kalifat kann nur als Unterdrückersystem funktionieren, in dem individuelle Freiheitsrechte nicht existieren, Andersdenkende und Andersgläubige unterdrückt, versklavt oder getötet werden. Gerade Menschen, die im Westen sozialisiert wurden und in die Kriegsgebiete reisten, erlebten die Realität dort sehr häufig als totalen Schock und riesige Enttäuschung. Sie berichten von Diskriminierung aufgrund der Herkunft, religiöser Unwissenheit, menschenunwürdiger Behandlung und der Unmenschlichkeit vieler Anführer, die Kämpfer ohne Ausbildung in den sicheren Tod schickten.

Abschließend diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops, welche präventiven Maßnahmen Staat und Gesellschaft dem Identitätsangebot des IS entgegenstellen können. Wichtige Aspekte in der Diskussion waren die Bedeutung politischer Bildung an Schulen sowie die Einbindung von Rückkehrern in die Präventionsarbeit.


Workshop 4:
Kriegserfahrung und Heimatverlust: Sprachlosigkeit oder Dialog?
Deutsch-Polnische Narrative und Lernprozesse
  • Christiane Brandau (Georg-Eckert-Institut Braunschweig),
  • Wolfgang Freter und Horst Lahmann (Verfassungsschutz Niedersachsen)

6. Fazit

Der große Zuspruch der knapp 140 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus allen Bereichen der Gesellschaft zeigt, wie sehr das Thema Heimat und Identität bewegt und verdeutlichte die Notwendigkeit für den Niedersächsischen Verfassungsschutz, sich auch zukünftig mit dem Thema "Heimat und Identität" auseinanderzusetzen.
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