Feminismus und Antifeminismus: Wie werden Geschlechterrollen im Extremismus verhandelt?
Aktuell und Kontrovers am 04.06.2025 in Hannover
Veranstaltung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes
aus der Reihe
„Aktuell und Kontrovers –
Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft“
„Feminismus und Antifeminismus:
Wie werden Geschlechterrollen im Extremismus verhandelt?“
Die neunte Veranstaltung aus der Reihe „Aktuell und Kontrovers – Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft“ beschäftigte sich am 4. Juni 2025 mit den Geschlechterrollen in den verschiedenen Extremismusphänomenen. Für Extremisten ist ihre Vorstellung davon, wie das gesellschaftliche Zusammenleben zu gestalten ist, ein elementarer Bestandteil der jeweiligen Ideologie. Dabei spielen auch Geschlechterrollen bzw. -identitäten eine zentrale Rolle. Im Rechtsextremismus und im Islamismus werden in aller Regel nicht verhandelbare traditionell patriarchalische Strukturen propagiert. Im Linksextremismus wird dagegen die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten, wenngleich nicht völlig ohne Brüche in einzelnen Fragen, hervorgehoben.
Der Niedersächsische Verfassungsschutzpräsident, Dirk Pejril, eröffnete die Veranstaltung mit einer Einordnung des Themas:
„Die gesellschaftliche Sprengkraft und das Mobilisierungspotenzial der Debatte um Geschlechterrollen durch Extremisten beschäftigen uns als Verfassungsschutz seit einigen Jahren. So haben wir bereits 2019 eine Podiumsdiskussion zum Thema „Frauen im Salafismus“ veranstaltet.
Rechtsextremisten polemisieren scharf gegen eine angeblich von oben gesteuerte linke „woke“ Kultur, die angetreten sei, der Mehrheit der Bevölkerung ihre Meinung aufzuzwingen. Dies zeigt sich in heftig geführten Debatten etwa um den Sexualkundeunterricht in Schulen, die Ehe für homosexuelle Paare oder Aktionen von Seiten insbesondere auch junger rechtsextremistischer Akteure gegen den Christopher-Street-Day.
Die Zuspitzung der gesellschaftlichen Richtungsdiskussion dient Extremisten zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zu Rekrutierungszwecken."
Unter Moderation der Journalistin Jutta Rinas (Hannoversche Allgemeine Zeitung) debattierten
• Dominik Hammer
Forschungsleiter, Institute for Strategic Dialogue,
• Dr. Britt Ziolkowski
Zentrum für Analyse und Forschung (ZAF) beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie
• Dr. Hannah Lotte Lund
Technische Universität Berlin, Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Zentrum für Antisemitismusforschung (ZfA).
Zunächst definierten die Podiumsteilnehmenden die für die Diskussion wesentlichen Begriffe Queerfeindlichkeit („Hass gegen alle von der Heterosexualität abweichenden sexuellen Orientierungen“), Misogynie („Frauenhass“), Feminismus („politische, soziale und kulturelle Bewegung zur Gleichberechtigung aller Menschen, insbesondere Frauen“) und Antifeminismus („politische Strategie und Ideologie, die sich gegen Feminismus richtet“).
Hannah Lotte Lund ordnete diese Begriffe in den historischen Kontext ein. Die Debatte um Geschlechterrollen sei nicht neu. Sie ziehe sich vielmehr durch die Geschichte. Insbesondere in Zeiten von Krisen, Revolutionen und gesellschaftlichen Umbrüchen entflamme sie immer wieder neu. Die biologistischen Erklärungsansätze für die Unterschiede zwischen Männern und Frauen seien im Anschluss an die Französische Revolution im 18. Jahrhundert konstruiert worden und wirkten bis heute fort. Typisch sei, dass die Geschlechterdebatte stets zur Aushandlung von Macht genutzt werde.
Anschließend wandte sich die Diskussion den Erscheinungsformen von Antifeminismus und Frauenhass im Extremismus zu. Dominik Hammer legte einen Fokus auf die sogenannte Mannosphäre, ein loses antifeministisches Online-Netzwerk, bestehend aus einer Vielzahl von Internetforen und Blogs, deren Mitglieder die frauenfeindliche Einstellung eint. Neben Sexismus seien Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Gruppen der Mannosphäre weit verbreitet. Rechtsextremisten und Mitglieder der Subkultur der „Incels“ („unfreiwillig zölibatär“) seien vielfach in der Mannosphäre anzutreffen. Auch fänden sich dort inhaltliche Schnittmengen zwischen Rechtsextremisten und Islamisten in der gegenseitigen Bestätigung hegemonialer Männlichkeit.
Britt Ziolkowski warnte indes davor, antifeministische Stereotype zu reproduzieren, indem Islamistinnen eine passive Rolle zugewiesen werde, statt sie als eigenständige Akteurinnen wahrzunehmen. Dieser „Gender Bias“ führe beispielsweise in Sicherheitsbehörden dazu, dass von Frauen ausgehende Gefahren unterschätzt werden könnten. Zudem wies sie auf die sogenannte Gender Transgression hin, der zufolge es in islamistischen Organisationen und Bewegungen zwar ein festes patriarchalisches Weltbild gebe, in welchem der Frau eine eindeutige und untergeordnete soziale Rolle zukomme. Jedoch sei dieses klare Verhältnis der Geschlechterrollen eine Utopie. In der Realität stelle sich das Verhältnis zwischen Männern und Frauen komplexer dar. Als Beispiel führte Ziolkowski die Terrororganisation „Islamischer Staat“ an, in dessen Gefüge zur Durchsetzung der ideologisch angestrebten Geschlechtertrennung etwa Ärztinnen und Lehrerinnen benötigt wurden.
Diskutiert wurde auf dem Podium u. a., welchen Einfluss die Geschlechtsidentität auf eine extremistische Radikalisierung habe. Einigkeit herrschte darüber, dass sich die Geschlechterdebatte gut zur Mobilisierung seitens extremistischer Gruppierungen nutzen lasse, weil es ein sehr persönliches Thema sei, dass alle Menschen betreffe und sich somit jede und jeder potenziell angesprochen fühle. Britt Ziolkowski wies darauf hin, dass problematische Geschlechterrollenerfahrungen vulnerabel für Radikalisierung machen können, dazu gehören Missbrauchserfahrungen oder eine Fremdkontrolle der eigenen Sexualität. Dominik Hammer ergänzte, dass vor allem von rechtsextremistischen Gruppierungen propagiert werde, sexuelle Erfüllung stehe Männern zu. Zudem werde behauptet, die westliche und liberale Gesellschaft führe einen „Krieg gegen die Männlichkeit“, um frustrierte Männer gezielt für sich zu vereinnahmen. Hier böten sich Anknüpfungspunkte für Verschwörungstheorien, zumeist mit antisemitischem Inhalt.
Auf die Frage, warum die Geschlechterdebatte im Linksextremismus nicht in der Form wie im Rechtsextremismus und Islamismus zu Radikalisierungszwecken verfängt, stellte das Podium die Hypothese auf, dass der Linksextremismus einen ideologischen Anspruch von Gleichheit vertrete, während Rechtsextremismus und Islamismus die Ungleichwertigkeit von Menschen propagiere. Auch würde in letzteren zwei Extremismusformen das Kollektiv (im Sinne von Volk und Umma) über das Individuum gestellt, sodass feste Geschlechterrollen zur Stabilisierung dieses Kollektivs eingesetzt werden würden.
Als Fazit stand am Ende der Veranstaltung, dass einer wirksamen Instrumentalisierung der Geschlechterdebatte durch Extremisten am besten bereits im Schulalter durch Aufklärung vorgebeugt werden sollte.Was verbinden die Teilnehmenden mit dem Begriff "Antifeminismus"?
Während der Veranstaltung konnten die Teilnehmenden ihre Gedanken und Überlegungen zum Begriff "Antifeminismus" teilen. Auf einer Leinwand wurden die Begriffe live eingeblendet und zu einer Mindmap zusammen gestellt.
Titel der Aktuell & Kontrovers-Veranstaltung am 04.06.2025
Hier können Sie den Veranstaltungsflyer sowie die Presseinformation herunterladen:
Flyer Aktuell und Kontrovers
(PDF, 0,16 MB)
Presseinformation zu Antifeminismus und Extremismus
(PDF, 0,52 MB)
Artikel-Informationen
erstellt am:
16.06.2025